Die Afterhour in Berlin

Erstellt am: 07.10.2007 - von: Sabine

Nach der Party im Club ist noch lange nicht Schluss. Die Szene feiert bis zum Wochenbeginn. „Für mich ist der Sonntag der Tag der Afterhour, seit ich aus der Schule bin“, sagt Mara, 24 und Studentin in Berlin.

BERLIN - Kaffee mit Milchschaum, frisch gepresster Orangensaft, warme Brötchen und Früchte. Das perfekte Sonntagsfrühstück für viele. Der Sonntag gilt als Tag der Entspannung, der Ruhe und in abendländischer Tradition als Tag der Besinnung. Für viele. Aber nicht für alle. Mara interessiert diese Ruhe nicht. Sie ist 24, studiert in Berlin Modedesign und sagt von sich, dass sie „mit diesen bürgerlichen Sonntagsritualen“ wenig anfangen kann. „Für mich ist der Sonntag der Tag der Afterhour, seit ich aus der Schule bin.“ Die Afterhour schließt an die nächtlichen Partys an. Dort trifft sich das Feiervolk, um weiterzutanzen und das Ende der Nacht hinauszuzögern.

Seit Beginn der 90er, mit dem Aufkommen der Technoszene, gibt es dieses Partyformat. Legendär sind die Afterhours 1993 im „Exit“, einem Club im sogenannten Ahornblatt. 1995 feierte man dann die sonntägliche Afterhour Club The Rest im Tresor, die DJane und „Bpitch Control“-Labelinhaberin Ellen Allien mitgestaltete. Heute wird die Afterhour in Clubs wie dem Golden Gate in Mitte, dem Berghain, der Bar 25, dem Kit-Kat-Klub oder privat und immer häufiger illegal in der Natur gefeiert.

Auftakt um vier Uhr

1981 sang die Ska-Band The Specials diese berühmten Zeilen, die zuletzt Nouvelle Vague coverten: „I go out on Friday night and I come home on Saturday morning.“ Auf die heutige Clubszene passt das nicht mehr. Man startet ins Wochenende mit einem Warm-up und vielen Drinks, geht freitags und samstags in die Clubs und verbringt meist den Sonntag auf den Afterhours dieser Stadt. Und wer immer noch nicht genug hat, verschwindet sonntagabends auf die Afterafterhours und feiert bis Montag früh weiter. Dann geht es wieder in die Schule, ins Büro oder in die Uni. Und die Tage zum nächsten Wochenende sind gezählt.

Mara steht vor dem Berghain. Es ist die Nacht von Sonnabend auf Sonntag. 4 Uhr. Mara fröstelt etwas in ihrem schwarzen Kleid, während sie in der Reihe vor dem Technoclub nahe dem Ostbahnhof ansteht, um vom Türsteher hineingelassen zu werden. In der Hand hat sie eine Zigarette und eine Wasserflasche, in der Wodka-Redbull schwappt. „Der macht wach“, sagt sie und schaut dabei die anderen Feierfreudigen an. Ab und an nickt sie lächelnd jemandem zu. Man kennt sich. „Es sind doch oft dieselben, die man trifft, aber die Namen kann ich mir nie merken“, sagt sie, „vielleicht weil ich zu betrunken bin.“ Die Abende sind nicht billig: Viele arbeiten in der Woche hart, um sich genug Taschengeld für die Wochenenden zu erarbeiten. Eintritt zahlt Mara nicht: „Man muss nur die Türsteher gut kennen.“

"Bis der Stoff aus ist"

Ein paar kräftige Schlucke aus der Pulle, der Bass brummt den Wartenden entgegen, und zwei Zigaretten später steht Mara in dem Elektrotempel. Das Berghain füllt sich meist erst ab vier Uhr nachts, und die Partys gehen den ganzen Sonntag weiter. „Bis der Stoff aus ist“, sagt Mara. Drogen und Techno gehören zusammen wie Herr Dörflein und Knut. Amphetamine wie Speed und Ecstasy, Kokain und dem neuerdings besonders beliebten Ketamin – eigentlich ein Narkosemittel – sättigen die Hungrigen auf ihren nicht enden wollenden Feiertrips. Auf den Afterhours gehören sie fast zwingend dazu. „Wie soll man sonst nach durchfeierter Nacht noch gut gelaunt feiern?“, sagt Mara.

Im Berghain begrüßt sie ein paar Freunde mit Küsschen. Links, rechts, und dann steuert sie die Bar an. Ihr Wodka-Mix musste draußen bleiben.

Das Tänzchen im Berghain ist das Warm-up. Für viele andere wäre das der Absacker, die Afterhour. Zwei Stunden später sitzt sie im Taxi. Die Pupillen sind etwas geweitet, und der Mascara ist im Gesicht verschmiert. Man könnte meinen, es reicht ihr für diese Nacht. Doch das Taxi hält vor dem Haus des Reisens am Alexanderplatz. Sie geht ins „Weekend“. Auch hier Küsschen links, Küsschen rechts. Sie kennt viele Leute. Und alle sehen etwas mitgenommen aus. Doch müde fühlt sich keiner. Die Toiletten sind übervoll, nur hört man selten eine Spülung. Mara tanzt mit einem Wodka-Redbull in der Hand, kurze Zeit später geht sie mit Freunden auf die Terrasse und schaut in die Sonne. „Ich liebe den Sonnenaufgang.“ Vielleicht unterscheidet das die Afterhour-Fans von anderen Partygängern: Ein Großteil liebt die Nacht, kostet sie aus, weiß aber, dass Schluss ist, sobald sich die Sonne zeigt.

Was sie vereint? Große Pupillen und Gier nach Party

Für Mara und andere geht es dann erst richtig los. Mit Freunden steigt sie ins nächste Taxi, heizt einmal durch Mitte. Sie landen im Delicious Doughnuts. „Auf einen Drink.“ Dort sammelt sich allmorgendlich eine bunte Mischung an Leuten aus allen Clubs. Was sie vereint – große Pupillen und die Gier nach Party.

Gegen 9 Uhr morgens, wenn andere gerade aufstehen, um zu frühstücken, zieht es Mara und ihre Freunde weiter. Diesmal mit der S-Bahn. Vom Hackeschen Markt aus fahren sie zum Müggelsee. Dort ist eine Afterhour in der Natur. „Die haben befreundete DJs organisiert“, sagt Mara mit müdem Blick. Die Fahrt dauert, und die Gruppe um Mara wird unruhiger. In dem Waggon kann man eine interessante Mischung beobachten: Immer mehr Feiernde steigen am Alexanderplatz, Ostbahnhof, Ostkreuz dazu. Aber auch Familien mit kleinen Kindern, die am Vormittag gerade ihren Sonntagsausflug starten.

Sonntagmorgen raus aufs Land

In Maras Gruppe geht eine Flasche Wodka rum. Eine Mutter mit einem kleinen Sohn auf dem Arm schaut böse. Doch das hält nicht vom Weiterfeiern ab. Der Weg ist lang. Nach der S-Bahnfahrt folgen 20 Minuten Fußweg. Die Goa-Bässe sind schon aus der Ferne zu hören. Mara bewegt sich schon dazu und giert nach der nächsten Attraktion. Aufgeregt überlegt die Gruppe, wie viele Leute wohl da sein könnten. Auch andere aus der Bahn laufen traubenweise zur selben Party. Laut und voll ist es am Müggelsee. Hier ist keiner mehr im Nachtschick unterwegs: Die Schminke ist verlaufen, und die Stilettos einiger Mädchen stecken im Sand. „Auf solchen Afterhours ist Ketamin die beliebteste Droge. Die versetzt einen in eine andere Welt.“ Das Betäubungsmittel, das gefährliche Nebenwirkungen haben und zu Horrortrips führen kann, erleichtert die Flucht aus der Realität, wenn der Körper eigentlich schon auf Schlafen aus ist.

Ein weltweit bekannter DJ, der früher viele Afterhours bespielt hat, sagt über ihre Faszination: „Afterhours sind so unkonventionell: Es ist egal, wie du aussiehst, wer du bist, woher du kommst. All die Feiernden eint die Flucht vor dem Morgen und die Zeitlosigkeit.“ Geht das auch nüchtern? „In meiner Karriere habe ich keine Afterhour ohne Drogen erlebt.“

Mara tanzt weiter. Sie ist seit Freitag unterwegs, hat den Sonnabend im Bett verbracht und wird bis Montag früh feiern. „Die Woche werde ich überstehen. Am nächsten Wochenende geht es weiter“, sagt sie und verschwindet in der Menge der Tanzenden.

Quelle: tagesspiegel.de