Endstation Underground

Erstellt am: 29.05.2007 - von: nw

Ist nicht alles irgendwie Mainstream? Ist der Underground nur noch ein Medienereignis? Auch heute ist es noch so, dass sich ein Milieu, das sich beispielsweise um eine bestimmte Musikrichtung herum bildet, sofort in diese Unterscheidung gibt. Entweder, indem man sich selbst gegenüber einem Mainstream abgrenzt, der außerhalb des Milieus liegt, oder aber indem das Milieu sich spaltet, in die Spezialisierteren und weniger Spezialisierteren, oder, wenn das Ganze mit einem konfrontativen Anspruch verbunden ist, in die Radikaleren und die weniger Radikaleren.

Heute ist diese Unterscheidung leer und in erster Linie formal, eine Abstraktion von Unterscheidungen, die früher konkret gefüllt waren. Vorher gab es den Begriff der Gegenkultur, die Differenz Mainstream-Hardcore oder in den 70er-Jahren "kommerziell" versus "progressiv". Die Begründung dafür, warum man Underground ist und nicht Mainstream, ist heute mehr Ehrensache oder beschreibt den Grad des Wissens, der Spezialisiertheit, Intimität, der Kenntnis von einer Sache. Die Gründe aber, warum man Underground sein will, werden heute nicht mehr benannt, aber man will es noch ganz genauso wie früher.

Mainstream hat kein Bewusstsein von sich selbst. Niemand, das kann man als Kriterium der allgemeinen Individualisierung nehmen, niemand sagt von sich, dass er Mainstream ist. Jede Selbstbeschreibung wäre doch wohl immer noch die: "Ich interessiere mich für Dieter Bohlen, aber ich tue das auf eine Weise, die nicht so ist, wie es alle tun." Underground ist mittlerweile fast eine normative Größe. Um sich auf sinnvolle Weise mit etwas zu beschäftigen, tut man das auf eine andere Art als die anderen. Es ist ein begriffliches Problem, wenn man von sich sagt, man sei Underground. Denn wenn man das gegenüber jemandem behauptet, der nicht dazugehört, tritt man natürlich in die Verhandlung ein, man muss sich handelseinig werden. Das ist immer die Dialektik zumindest von Subkulturen in der Popmusik gewesen: Sie hatten seit je ein Begehren nach Mainstream, dem sie die eigene Undergroundigkeit verkauften, womit sie dann anschließend ein Problem bekamen.

Die Musikindustrie war immer viel lokaler, auch wenn man sich zum Zentrum in Beziehung setzte. Das Nach-außen-Dringen war dabei meistens mit Verkauf und Verlust der Seele verbunden und einem gleichzeitigen Idealisieren der kleinen Szene. Dieses Modell wurde dann später von Bewegungen übernommen, die einen inhaltlichen Anspruch hatten, etwa "antikapitalistisch" oder "Indiekultur". Die andere Wurzel der Unterscheidung Mainstream-Underground ist natürlich politisch. Legalität versus Illegalität, Reformisten versus Revolutionäre. Die beiden Bewegungen, also Kultur und Politik, haben sich in den 60er-Jahren getroffen und sich von da an auch gegenseitig gezielt miteinander verwechselt.