Faithless' Botschaft an Angela Merkel

Erstellt am: 17.04.2007 - von: Sabine

Das britische Kollektiv Faithless fordert sein Publikum auf gegen Armut und Hunger zu kämpfen, ohne ihm die Laune zu verderben. Sänger Maxwell Fraser sagt: "Wir sind nur Musiker. Aber wir können Menschen, die unsere Musik mögen, dazu bringen, zu handeln."

Am Nachmittag sitzt Maxwell Fraser in der Halle, die am Abend voller Menschen sein wird, voller Tanzmusik und Glück. Noch steht in der Columbiahalle kalter Rauch vom Vortag. Instrumente werden mühsam eingepegelt. Wer den Kindern den Berufswunsch Star verderben möchte, sollte ihnen solche freudlosen Momente zeigen. Fraser trägt den Namen Maxi Jazz aber ein T-Shirt mit der Botschaft „G8 – Die Welt kann nicht warten.“ Jemand hat mit Kreide 72768 auf seinen Bauch geschrieben. Er ist eine Nummer, eine „Stimme gegen Armut“, eine unter vielen. Darum soll es beim Konzert von Faithless gehen, und ihr Sänger sagt: „Wir sind nur Musiker. Aber wir können Menschen, die unsere Musik mögen, dazu bringen, zu handeln.“ Die Hilfsorganisation Oxfam hat sich eine Telefonnummer besorgt und ruft mit Faithless dazu auf, per SMS das Wort „Angela“ abzuschicken, um die Bundeskanzlerin an jene Afrika-Versprechen der G8-Staaten von Schottland vor zwei Jahren zu erinnern. Beim G8-Gipfel von Heiligendamm im kommenden Juni hat Angela Merkel die EU-Ratspräsidentschaft inne und zugleich den Vorsitz der G8. Sie gilt als Handy-Kanzlerin. „Damit verbringen doch die jungen Leute heute ihre Tage“, sagt Ayalah Bentovim: „Sie simsen.“ Bentowim bedient als Sister Bliss die Keyboards, als die Band drei Stunden später auf der Bühne steht.

Die Versprechen elektronischer Musik
Hier geht es dann doch eher um Überwältigung. Um Wärme, Euphorie, einen gelungenen Abend. Wer die Loveparade als Großstadtkirmes aufgegeben hat und Großraumdiskotheken in der Vorstadt meidet, wird an die Versprechen elektronischer Musik erinnert. Ein spartanisches Zwei-Finger-Leitmotiv, der Beat, ein Bass, und auch die Masse wird sich selbst wieder geheuer. Maxi Jazz ruft unbeirrt: „This is my church!“ Das Licht gewittert in der Kirche, und der Grundgedanke wird gesungen und auf T-Shirt-Brüsten zum Gesetz erklärt: „God is a DJ“. Betete die Rockmusik ihre Gitarrengötter an, betrachteten die Tänzer ihre Welt als Scheibe und Musik als Selbstzweck. Dieser Mangel an Ideen und Idealen hat der reinen House-Musik zwar eine allgemeine kulturelle Akzeptanz erspart aber auch etliche am ewigen Fortschritt zweifeln lassen.

Ein Auftritt wie eine progressive Rockband
Mangelnde Ideen waren selten ein Problem bei Faithless. Auf der Bühne wirkt das offene Kollektiv wie eine progressive Rockband mit gewaltigem, doppelten Schlagwerk, mit Gitarre, Bass und wechselnden Gesangssolisten. Manchmal klingt die Band auch so. Es herrscht ein Pluralismus der Musikstile. Wenn Maßstäbe sich auflösen, ist alles möglich, bis zum Wechselspiel von Bach-Orgel und Blues-Gitarre. Nie steht allerdings die Grundhaltung in Frage. Denn hier gibt sich keine Band die Ehre, hier begleiten Musikanten statt eines inzwischen göttergleichen DJs einen Rave. Sie spielen Clubhits wie „Insomnia“ aus den mittleren Neunzigerjahren, als um Techno schon die unsinnige Diskussion um Ausverkauf, Substanzverlust und Provinzialisierung tobte. Und sie spielen aktuelle Stücke, die den Unsinn jener Diskussion bekräftigen: In „Music Matters“ wendet Maxi Jazz sich dankbar an sein Publikum: „For all those who stood up and where counted. For all those for whom music was the message.“ Möglichst viele Menschen und Musik als Botschaft. Zehn Millionen Alben haben Faithless bisher insgesamt verkauft. In einer Sparte, die einmal auf Songs und Singles setzte.

Platte über Neuankömmlinge
Faithless ging nicht aus einer Garagenband hervor, sondern aus Rollo Armstrongs Plattenlabel Cheeky Records. Es gab regelmäßig Alben und Tourneen aber auch zunehmend Zeit für eigene Projekte und das Kerngeschäft des Plattenauflegens im Club. Mit „All The New Arrivals“, ihrer jüngsten Platte, haben Faithless viele überrascht. Sie warfen zuletzt Remixes heraus und Hitsammlungen, gaben Abschiedsvorstellungen oder tauchten in Berlin 2004 beim Live-8 als Protestkapelle auf. Nun touren sie mit ihrem neuen, sehr gelassenen und warmherzigen Album, zu dem Rollo Armstrong sagt: „Wir wissen, dass das, was wir tun relevant ist, und dass die Dinge, die wir sagen, es wert sind, gesagt zu werden.“ Es ist eine Platte über ihre eigenen Kinder, über Neuankömmlingen im allgemeinen und die Welt.

Besucher des Berliner Gastspiels werden nur dezent ermahnt, an Afrika und den G8-Gipfel zu denken. Schon das Bühnenbild ist eine schwer erkennbare Collage aus Gesichtern. Maxi Jazz trägt noch sein Oxfam-T-Shirt und ermuntert, einmal kurz zur Merkel-SMS, als er den Friedensgruß entbietet und der Saal singt „What’s about love?“ Dies bleibt das Schöne an der Tanzmusik: Die Form muss nie dem Inhalt folgen. Häufiger hat Maxi Jazz, der beinahe 50-jährige Londoner Jamaikaner, bereits seine Sorgen um die Welt besungen, in „No Roots“ und „Mass Destruction“. Aber niemand wird gezwungen, seinen Tanz zu unterbrechen, Maxi Jazz als wandelndes Weltgewissen zu verehren und gesenkten Blicks den Predigten zu lauschen. Noch am Nachmittag hat er ge-sagt: „Es ist nicht notwendig. Die Menschen sind ja da“.

Quelle: www.welt.de